Das Tolkienverse und seine Herausforderungen
Ein kleiner Exkurs
#1
Das Tolkienverse und seine Herausforderungen
Die Herausforderung bei einem Mittelerde Rollenspiel ist nicht etwa das Setting und auch nicht die umfassende Welt und Geschichte selbst, die wahre Herausforderung liegt in den Dialogen und in der Darstellung der Charaktere. Eine Szene hat sich schnell im Kopf gebildet, doch wie bringt man diese so zu Papier, dass sie sich beinahe nahtlos in diese Welt einfügt? Manches Mal gar nicht so einfach. Daher haben wir hier mal ein paar Dinge gesammelt. Dinge, um die man besser einen großen Bogen machen und vermeiden sollte oder aber Dinge, die einem nützlich sein könnten und alles zu einem kleinen Leitfaden zusammengefügt.


Punkt 1: Nathlo i nathal! - Was hat er gesagt?

Vergesse nie, dass jedes Volk seine eigene Sprache spricht und sich selbst diese durch Dialekte unterscheidet. Sindarin und Westron waren die beiden Sprachen, die man am häufigsten angetroffen hat, aber nur wenige waren auch in der Lage, beide Sprachen zu beherrschen.

Gerne wird zu Gunsten des Rollenspiels auf solche Feinheiten verzichten oder aber, sollten sie vorkommen, ignoriert. Eigentlich ist das Schade, denn genau dadurch gehen die Unterschiede der Völker verloren. Es ist nicht realistisch, dass jeder Elb in Mittelerde auch Westron beherrscht und noch weniger realistisch ist es, dass jeder Mensch dem Sindarin mächtig ist. Von dem Khuzdul der Zwerge mal gar nicht erst angefangen.

Wenn sich zum Beispiele 2 Elben in ihrer Sprache unterhalten und ein Zwerg oder Mensch geht vorbei, nun dann versteht er eben nicht, was sie sprechen und kann somit auch nicht darauf reagieren oder besser gesagt, er kann darauf reagieren, aber die Chance, dass er vollkommen daneben liegt ist höher als die, dass er dabei ins Schwarze trifft. Es tut keinem Charakter weh, in einer solchen Situation mal daneben zu liegen und es lässt den Charakter damit auch nicht schlechter dastehen, es lässt ihn nur authentisch erscheinen.

Ein Charakter, der neben 2 anderen Charaktere steht, welche in einer Sprache sprechen, die er nicht versteht, darf gerne auch mal nachfragen, worüber gesprochen wird. Er darf gerne um jemanden bitten, der für ihn übersetzt. Auch in diesem Fall ist das Nachfragen oder das Nicht-Verstehen keine Charakterschwäche, es liegt einfach nur in der Natur seines Volkes.


Jeder, der den ersten Teil der Hobbit-Trilogie gesehen hat, kann sich an die Szene der Zwerge in Bruchtal erinnern, in welcher Elrond, in der Sprache seines Volkes, die Zwerge zum Essen eingeladen hat. Die Zwerge haben kein Wort verstanden, haben das Schlimmste vermutet und entsprechend reagiert, sehr zur Belustigung von Gandalf. Dieses Nicht-Verstehen kann zu interessanten und spannenden Situationen führen und ich denke keiner wäre auf die Idee gekommen, den Zwergen nur aufgrund dieser Szene eine Charakterschwäche oder gar Dummheit anzudichten. Stattdessen haben sie wohl viel eher an Sympathie gewonnen. Warum also sollte es sich in einem Rollenspiel anders verhalten? Absolute Perfektion macht einen Charakter nicht interessant, sondern langweilig.


Doch wie macht man es jetzt Inplay am geschicktesten?

„Seht sie euch an. Sie fürchten sich, ich sehe es in ihren Augen“, sprach Legolas für alle verständlich, ehe er in die Sprache seines Volkes wechselte, da er die Menschen nicht noch mehr beunruhigen wollte. „Und sie sollten es sein... dreihundert gegen zehntausend.“
„Sie haben bessere Aussichten sich hier zu verteidigen, als in Edoras“, antwortete Aragorn und auch er benutzte dafür die Sprache der Elben.
„Sie können diesen Kampf nicht gewinnen. Sie werden alle sterben!“, brachte Legolas eindringlich hervor.
„Dann werde ich als einer von ihnen sterben“, entgegnete Aragorn so, dass ihn jeder im Raum verstehen konnte.


Jeder beteiligte Spieler weiß somit, was gemeint ist und worüber sich das Gespräch dreht (und nebenbei läuft man auf diese Weise auch nicht Gefahr, sich mit falschen Fremdsprachenkenntnisse zu blamieren^^). Aber nur dem Charakter Aragorn ist es möglich, auf Legolas zu reagieren, denn er ist des Sindarins ebenfalls mächtig, da er unter Elben in Bruchtal aufgewachsen ist.



Punkt 2: Vermeide Umgangssprache und moderne Begriffe

Mittelerde ist eine eigene Welt mit einer eigenen Sprache und somit können die Bewohner von Mittelerde auch keine Umgangssprache, so wie wir sie haben, kennen oder gar besitzen. Uns bekannte technische Errungenschaften gibt es bei ihnen nicht, auch nicht unsere Ausdrucksweisen oder unsere Umgangsformen. Nie wird man einen Bewohner „Verdammte Scheiße“ fluchen hören oder sie sich mit „Ey Alter!“ begrüßen lassen. Auch ein „He wie geht's“ wird man hier vergeblich suchen. Man muss eben ein bisschen umschreiben, was man sagen oder beschreiben möchte. Am besten demonstriere ich das mal an einem Beispiel:

Beispiel wie man es nicht machen sollte

„Ey Alter“, erklang eine Stimme hinter ihm.
„Was?“, antwortete Legolas, die Stimme als eines seiner treuen Soldaten erkennend.
„Du wir sind echt angeschissen man. Das Miststück von Gollum hat sich auf einen Baum verpisst und will seinen Arsch nicht mehr runterbewegen.“
„'Kay. Habt ihr ihn echt alle alleine gelassen?“
„Klar doch, damit der mal von seinem Trip wieder runterkommt. Dummerweise tauchen gerade ein paar Orks auf und es wäre echt krass geil, wenn du uns helfen könntest.“


Beispiel wie es gleich viel besser klingt

„Verzeiht“, erklang eine Stimme hinter ihm.
„Sprecht“, antwortete Legolas, die Stimme als eines seiner treuen Soldaten erkennend.
„Wir sind in Not. Die Kreatur namens Gollum hat sich in einem Baum versteckt und es gelingt uns nicht, ihn von dort wieder herunter zu holen.“
„Ihr habt ihn dort zurückgelassen?“
„Ja, wir haben ihn dort zurückgelassen, doch Orks sind auf dem Weg hier her und wir verlieren kostbare Zeit, während wir uns unterhalten. Wir benötigten eure Unterstützung.“


Selbstverständlich ist das obere Beispiel sehr übertrieben, aber ich denke dennoch, dass es wunderschön den Unterschied deutlich macht zwischen dem, was nach Mittelerde passt und dem, was man eher auf unseren Straßen erwarten kann.



Punkt 3: Versuche die Dialoge poetischer und 'älter' klingen zu lassen

Damit ist nicht gemeint, dass ihr mit „Ihr“ und „Euch“ in euren Dialogen umher werfen müsst oder dass euer Charakter jeden mit „Herr“ und „Dame“ ansprechen muss. Tolkien zum Beispiel liebte es, mit Wörter zu spielen. Hier mal ein Beispiel aus „Die Gefährten“, welches es wunderschön demonstriert:

Lange schwiegen sie alle. Dann nahm Frodo zögernd das Wort. „Dass du ein Freund bist, glaubte ich schon, bevor ich den Brief bekam“, sagte er. „Oder wenigstens wollte ich, dass du es seist. Du hast mich heute Abend mehrere Male erschreckt, aber niemals so, wie ich mir denke, dass die Knechte des Feindes es tun würden. Ich glaube, wenn du einer seine Spione wärst – nun ja, deine Kleider wären dann reinlicher und deine Worte schmieriger, wenn du mich recht verstehst.“
„Ich verstehe“, sagte Streicher und lachte. „Ich sehe übel aus, komme dir aber nicht so schlimm vor. Nicht alles, was Gold ist, glänzt.“


Dieser Ausschnitt stammt aus der Szene im Tänzelnden Pony in Bree. Die Hobbits wissen nicht so recht, was sie von Streicher halten sollen, da er ihnen absolut suspekt vorkommt und er gekonnt mit ihren Vorurteilen und Ängsten spielt und sie somit eine Weile in dem Glauben lässt, er sei in der Tat nur hinter dem Ring her.



Punkt 4: Gehe nicht verschwenderisch mit Förmlichkeiten oder Höflichkeitsformen um

Bewohner von Mittelerde werfen nicht ständig mit Förmlichkeiten wie 'Mein(e) Herr / Dame / König / Königin / Prinz / Sohn / Tochter / usw' um sich, denn es sind, wie der Name schon sagt, Förmlichkeiten. Selbst bei formellen Angelegenheiten werden sie nicht die ganze Zeit benutzt.

Adelstitel werden nur gegenüber demjenigen verwendet, der diesen Titel auch wirklich besitzt.

'Herr' und 'Dame' verweist auf Personen, welche Land oder Gebiete besitzen. Somit würde man niemals ein junges Mädchen, welches man mitten im Nirgendwo antrifft, als Dame bezeichnen. Es lässt sich vielleicht einfacher verstehen, wenn man hier auf die englischen Begriffe 'Lord' und 'Lady' zurückgreift.

Die Titel 'König' und 'Königin' werden Leute verliehen, welche ein Land oder Gebiet regieren.

Die Titel 'Prinz' und 'Prinzessin' sind ebenfalls ein wenig trickreich. Diese Titel müssen nicht zwingenderweise zu jemanden gehören, dessen Eltern König und Königin sind. Manchmal werden sie auch einfach Personen verliehen, welche ein Gebiet regieren, aber noch immer einem König oder einer Königin zur Antwort verpflichtet sind.

Ähnlich wie mit den Förmlichkeiten verhält es sich auch mit Höflichkeitsfloskeln wie 'Ihr' und 'Euch'. Auch sie finden nicht in jedem nur erdenklichen Dialog Anwendung. So wird man in einem Gespräch zwischen zwei Bauen solche Anreden vergeblich suchen.


In folgenden Situationen finden Förmlichkeiten/Höflichkeitsfloskeln Anwendung

- Begrüßungen die ein gewisses Maß an Höflichkeit erfordern oder gewünscht ist
„Haltet ein Wanderer. Welche Belange führen Euch zu so später Stunde nach Minas Tirith?“

- Als Zeichen von Respekt. Hier wird 'Ihr/Euch' meist auch mit 'Herr/Herrin' und oftmals dem Namen der Person kombiniert
Éowyn: übt mit einem Schwert
Aragorn: (pariert ihren Schlag) Ihr seid geschickt mit dem Schwert.
Éowyn: Die Frauen Rohans haben gelernt, dass jene ohne Schwerter, trotzdem durch ein Schwert sterben können. Ich fürchte weder Tod noch Schmerz.
Aragorn: Was fürchtet ihr dann, Herrin?


Sam: Heermeister Faramir,Ihr habt gezeigt, was Ihr wert seid, Herr. Das Allerhöchste.
Faramir: Das Auenland muss wahrhaft prachtvoll sein, Herr Gamdschie. Wo Gärtner hoch in Ehren stehen. Welchen Weg schlagt ihr ein, wenn ihr den Wald erreicht?




Punkt 5: Vergesse nie, dass die Völker aus Mittelerde keine übertriebene Form ihrer Filmvorbilder sind

Zwerge sind keine ungehobelten Hinterwäldler

Gimli sprach in einer so romantischen und zuvorkommenden Weise, dass sogar Haldir, Frau Galadriel und Herr Celeborn ihre Abneigung gegen Zwerge fallen ließen. Er schaffte es sogar Galadriel so sehr zu imponieren, dass sie ihm 3 Strähnen ihrer Haare gab und nicht nur eine, wie er es sich gewünscht hatte. Gimli war ein Gentleman, kein ungebildeter, grober Minenarbeiter. Vergesse nie, dass Zwerge ihre eigenen Kategorien von Personen haben, so wie Menschen auch. Aus diesem Grund können sie nicht stereotypisch dargestellt werden. Die Einzigen, die sich wie ungehobelte Hinterwäldler benehmen, sind ungebildete Hobbits.


Hobbits sind, auch wenn sie nur so groß sind wie ein Kind, keinesfalls Kinder

Sicherlich, Hobbitkinder verhalten sich wie alle Kinder, aber ältere Hobbits verhalten sich wie ältere Personen. Beispiel: Merry und Pippin sind keine Kinder. Auch wenn Pippin das Abenteuer im Alter von 28 Jahren antrat und Hobbits erst mit 33 Jahren offiziell als erwachsen gelten, er somit technisch gesehen noch ein Kind war, nahm er die Aufgabe sehr, sehr ernst. Ihm sind einige dumme Fehler unterlaufen, wie zum Beispiel einen Felsen in den Brunnen in Moria zu werfen, aber er hat seine Zeit in der Gemeinschaft nicht mit herumspielen verbracht oder damit, ein Ärgernis zu sein.


Elben sind keine Teenager

Das ewig junge Erscheinungsbild bedeutet keinesfalls eine ewig kindliche Persönlichkeit. Elben haben eine sehr poetische Art sich auszudrücken und das unterscheidet sie maßgeblich von anderen Völker. Dies kommt daher, dass sie schon seit einer sehr langen Zeit leben und die Kunst des Sprechen schon seit sehr langer Zeit üben. Auf den ersten Blick gibt es nichts ungestümes an ihnen. Sie gehen nicht durch das traumatische, ängstliche, weinerische Alter, durch welches die meisten Sterblichen hindurch müssen. Elben erfreuen sich eines großen Interesses bei Rollenspieler, wohl wegen ihrer Erhabenheit, leider geht die dann verloren, sobald der Elb zum Reden ansetzt. Ein Elb würde beispielsweise nie sagen „Nein ich werde es nicht tun!“. Stattdessen würde er eher sagen „Nein, ich bin nicht bereit derartige Dinge zu tun, so entsprechen sie nicht meiner Natur.“ Elben sind leichter zu spielen als man denkt, aber schwieriger als man glaubt.

Mir fällt da eine kleine, aber feine Szene aus dem Hobbit ein, in welcher ein Hobbit die typische Art der Elben zu sprechen, gekonnt auf den Punkt bringt:

„Frage niemals die Elben um Rat, sie werden sowohl Ja als auch Nein sagen“
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